Ödenburger Familien im Porträt: Die Józans

Die Verfasserin dieser Zeilen nimmt gerne an Tagungen teil, nicht nur, weil sie gerne ihr Wissen erweitert, sondern auch wegen der interessanten Pausengespräche. Der eine oder andere Gedankenaustausch kann ausgesprochen aufschlussreich sein. Bei einem Symposium in Ödenburg begegnete die erwähnte Verfasserin einem Bekannten, Dr. Tibor Józan. Sie wusste allerdings nicht, dass er deutsche Wurzeln hat und seine Vorfahren noch Jilling hießen. Das war Anlass genug, ihn um ein Gespräch zu bitten.

Die Jillings kamen nach der Türkenbelagerung Ungarns mit vielen anderen Arbeitssuchenden aus der hessischen Gegend in ein kleines ungarisches Dorf in der Tolnau, nach Jerking/Györköny. Das Wort „ungarisch“ bezeichnet in diesem Falle bloß die geografische Lage, denn das Dorf wurde nach der Neubesiedlung fast ausschließlich von Deutschen bewohnt. Auch noch im Jahre 1941 bekannten sich 90 Prozent der Dorfbevölkerung zum Deutschtum.

Tibor Józan

Tibors Großmutter väterlicherseits, Katharina Jilling, „Freicha“ (Frauchen) genannt, sprach auch mit den Enkelkindern nur deutsch. Ihr Mann starb während des Ersten Weltkrieges, so musste Katharina nach dem Tod ihres Erstgeborenen ihre drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, alleine großziehen. Der jüngste Sohn, Johann, ist der Vater meines Gesprächspartners.

Die Großeltern mütterlicherseits hießen ebenfalls Jilling, obwohl die zwei Familien miteinander nicht verwandt waren. Der Ehe von Michael Jilling und seiner Gattin, Katharina Schall, entstammten ebenfalls drei Kinder, zwei Töchter und ein Sohn. Die älteste Tochter, Katharina Jilling, heiratete 1940 Johann Jilling. Ein Jahr darauf stellte sich Sohn Johann, 1946 Tibor, mein Gesprächspartner, und 1953 eine Nachzüglerin, Katalin, ein.

Tibors Vater magyarisierte seinen Namen auf Józan, weil er und seine Familie nicht vertrieben werden wollten. Der Familie half aber auch das nicht, alle Jillings wurden auf die Liste der Auszusiedelnden gesetzt. Nur Tibors Eltern und die Kinder blieben von der Vertreibung verschont, denn sie konnten sich auf einem Dachboden verstecken. Doch zu Hause kamen neue Schicksalsschläge auf die Familie zu: In ihr Familienhaus zogen Fremde ein, die Jillings durften sich hinten im Hof einen Raum mit zwei anderen Familien teilen. Doch man überlebte auch diese schweren Zeiten mit viel Disziplin und Optimismus. Die ganze Verwandtschaft, samt Großeltern, wurde nach Deutschland vertrieben, wo sie von den Einheimischen äußerst ungern aufgenommen wurden. Man lebte unter sehr schlechten Verhältnissen, geheizt wurde mit Tannenzapfen und oft gab es zu Mittag nur eine einfache Speise, die aus Erdäpfelschalen gekocht wurde. Dazu kam noch das Heimweh, deshalb beschloss ein Teil der Familie, wieder nach Ungarn zurückzukehren.

Infolge einer Kinderlähmung hinkte Tibors Vater, so konnte er nur einer leichten Arbeit nachgehen. Gemeinsam mit seiner Mutter betrieb er im Dorf eine Greißlerei, die unter den Dorfbewohnern sehr beliebt war; dort konnte nämlich die Rechnung auch mit Eiern beglichen werden, wenn das nötige Geld fehlte. Das Geschäft sicherte der Familie ein gutes Einkommen, doch 1948 wurde es enteignet. Als Ungarndeutscher hatte es Tibors Vater in den fünfziger Jahren nicht leicht und wurde immer wieder schikaniert, sogar öffentlich: 1953 schrieb Imre Dobozi einen Bericht in einer Zeitung, in dem er den Brotmangel damit begründet hatte dass „deutsche Faschisten“ wie János Józan das Brot an die Schweine verfüttere. Der Vater war arbeitslos, aber die Familie musste ernährt werden. Tibor lernte früh, was es heißt, Tiere zu füttern, Ziegen und Kühe auf die Weide zu treiben und diese zu hüten. Er übernahm im Dorf auch gemeinnützige Arbeiten, wodurch er die Familie finanziell unterstützen konnte. Im Sommer arbeitete er manchmal bei brütender Hitze, er brachte den Feldarbeitern in schweren Kannen Wasser vom Brunnen. Das wurde von denen öfters als zu warm empfunden, und so musste Tibor wieder kehrtmachen, um kälteres Wasser zu holen. Seiner Meinung nach haben ihn diese Arbeiten abgehärtet und waren keineswegs nutzlos.

Tibor wurde in Fünfkirchen in den deutschen Nationalitätenklassenzug des Klara-Leőwey-Gymnasiums aufgenommen. Erst dann konnte er sich stolz zu seinem Deutschtum bekennen. Laut Tibor war es eine Schule, in der er viel gelernt hat und sich für seine spätere Laufbahn ein sicheres Basiswissen aneignen konnte. Nach der Matura besuchte er die Universität für Wirtschaftswissenschaften. Sein Hauptinteresse galt immer der Eisenbahn, so bewarb er sich mit einem Diplom in der Tasche bei der Raab-Ödenburg-Ebenfurter-Eisenbahngesellschaft. 1970 heiratete er seine ehemalige Studienkollegin Marta Solt und die beiden begannen ihren neuen Lebensabschnitt in Ödenburg bei der Raaberbahn.

In der neuen Arbeitsstelle von Tibor klingelte sehr oft der schwarze Telefonapparat, der die Direktion Ödenburg direkt mit Wulkaprodersdorf in Österreich verband. Es ist allgemein bekannt, dass ein Telefongespräch in einer Fremdsprache zu führen nicht einfach ist, besonders dann, wenn der Anrufer eine Mundart spricht. So fiel diese Aufgabe sehr schnell Tibor zu, dem beim Verstehen des Dialekts die Jerkinger Mundart sehr zu Hilfe kam. Tibors Arbeit und Wissen wurde bei der Raaberbahn geschätzt. Man ernannte ihn bald zum stellvertretenden Generaldirektor. Am meisten ist er darauf stolz, dass während seiner Amtszeit der Warenverkehr zwischen den Balkanländern und Westeuropa auf den Schienen ausgebaut wurde.

Nach seiner Pensionierung ist er immer noch aktiv, seine ausgedehnten Kontakte kann er im Interesse der Stadt einsetzen: Er ist als Vorsitzender des Vereins für Stadtverschönerung tätig, was ihm viel Freude bereitet.

Judit Bertalan

Aus dem Inhalt

 

Ergänzende Finanzförderungen für Kindergärten und Grundschulen in der Trägerschaft von Nationalitätenselbstverwaltungen

Kindergärten und Grundschulen, die in der Trägerschaft von Nationalitätenselbstverwaltungen sind, erhielten für das Jahr 2017 vom Ministerium für Humanressourcen eine bedeutende ergänzende Finanzförderung. Fünf Minderheiten, 41 Selbstverwaltungen und 47  Institutionen sind von der Förderung betroffen. Die entsprechenden Dokumente wurden bei einem Festakt am 28. Feber im Jagdsaal des Parlaments von Emmerich Ritter, Parlamentssprecher der Ungarndeutschen, und dem für die Nationalitäten zuständigen Staatssekretär im Ministerium Miklós Soltész den Vertretern der Selbstverwaltungen und der  Institutionen ausgehändigt.

 

Rentenerhöhung für Verschleppte

Etwa 60 000 Personen, die Opfer der sowjetischen Zwangsarbeitslager, können auf Rentenerhöhung hoffen. Die ungarische Regierung sichert den in die Sowjetunion Verschleppten ab März dieses Jahres einen Rentenzuschuss von 60 Prozent – gab Zoltán Balogh, Minister für Humanressourcen, in Trautsondorf/Hercegkút am 24. Feber bekannt. Im von Ungarndeutschen bewohnten Trautsondorf nahm Balogh an der Abschlussfeier des Gedenkjahres an die Verschleppung teil und betonte, dass jeder, der im Lager war, eine Rentenerhöhung bekommen wird. Auch all diejenigen, die zwischen 1945 und 1963 unrechtmäßig von Gerichten verurteilt wurden, sind laut Balogh zu einer Rentenerhöhung berechtigt.

 

Innenministerium schreibt Donauschwäbischen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg aus

„Wer den Verlust der Heimat erleiden musste, hat es verdient, dass seine Kultur geschützt wird“, sagte Thomas Strobl, stellvertretender Ministerpräsident und Landesbeauftragter für Vertriebene und Spätaussiedler, am 27. Februar bei der Ausschreibung des Donauschwäbischen Kulturpreises des Landes Baden-Württemberg. „Der Donauschwäbische Kulturpreis ist ein Zeichen der besonderen Verbundenheit mit den Donauschwaben und ihren Nachkommen.“ Das Land Baden-Württemberg vergibt den Donauschwäbischen Kulturpreis alle zwei Jahre. In diesem Jahr wird der Preis für den Bereich Kulturvermittlung (Literatur – Musik – Bildende Kunst – Medien) ausgeschrieben. Bewerbungsschluss ist der 31. Mai 2017.

 

„Es wird Wein gelesen“ – Ein deutschsprachiger Debütband von András Winkler

Kurz, prägnant, auf den Punkt gebracht. So könnte man eine Summierung der Gedichte und Aphorismen von András Winkler charakterisieren. Der Lyriker liebt die Sprachspiele, in seinen Texten entpuppt sich eine bürgerliche Welt, die im Band „Umleitung“ auf eine ganz besondere Weise festgehalten werden. Und Ödenburg versteckt sich unwiderruflich zwischen den Zeilen. András Winkler ist Jahrgang 1942 und in Steinamanger geboren. Der Schauplatz seiner Kindheit und seiner späteren Laufbahn war und ist Ödenburg. 1956 weilte er als Flüchtling ein halbes Jahr in Zürich. Er ist absolvierter Diplom-Holztechnologe, Von 1989 – 1997 war er Rektor der Universität Ödenburg. Für seine wissenschaftliche Tätigkeit wurde er mehfach mit Auszeichnungen geehrt. Er hat die Welt bereist, war längere Zeit in Hamburg, Dresden und Wien.

 

YOU.NG – YOU.PA Networking Group
Alumni-Netzwerk für die deutschen Minderheiten in Ost- und Mitteleuropa

Förder- und Bildungsprogramme geben Jugendlichen die Möglichkeit, sich noch mehr für die deutsche Minderheit zu engagieren. Leider gibt es davon nicht so viele oder nutzen nur wenige diese Chancen. Aber nicht die glücklichen derzeitigen und ehemaligen Teilnehmer des YOU.PA-Programms (Young Potentials Academy) der OBS-Stiftung e. V. Im YOU.PA-Programm treffen sich Jugendliche im Alter von 18 – 28 Jahren aus fünf mittel- und osteuropäischen Ländern, aus Polen, Rumänien, Tschechien, Ungarn und aus der Slowakei. Ab 2016 sind auch Teilnehmer aus weiteren sieben Ländern dabei. Um die Kontakte zu pflegen, entwickelte sich die Idee eines Netzwerkes der YOU.PA-Alumni-Teilnehmer, das YOU.NG (YOU.PA Networking Group).

 

Aufforderung zum Tanz

Die Audi Hungaria Schule Raab veranstaltete am vorletzten Faschingswochenende den ersten Schwabenball der Bildungseinrichtung. In der festlich dekorierten Sporthalle feierten und tanzten an die 170 Gäste zu den bekannten Walzer-, Polka- und Marschklängen der „Tarianer Spitzbuam“. Schulleiter Helmut Seiler und Olivia Schubert, Vorsitzende des Stiftungsrates der Trägerstiftung, freuten sich, so viele Gäste anlässlich dieser besonderen Veranstaltung begrüßen zu können. „Mit unserem ersten Schwabenball möchten wir den Grundstein für eine lange Tradition im Zeichen der Pflege des ungarndeutschen Brauchtums legen.“

 

Neue Wege öffnen, neue Chancen nutzen – durch das BMI-Projekt: „Ausstattung von Jugendbegegnungsstätten“

Zwei von den aktivsten GJU-Freundeskreisen, Hartian und Wemend, haben 2016 die Möglichkeit bekommen, ihre Jugendbegegnungsstätte mit einem Antrag beim Bundesministerium des Innern über die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen technisch weiterzuentwickeln. Sie haben uns über ihre ersten Eindrücke und ihre Pläne im erneuerten Treffpunkt erzählt.

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