Kirwaller Notizen anlässlich eines Chortreffens
Die Gemeinde Kirwall/Máriahalom hat etwa 600 Einwohner, liegt am südöstlichen Rande des Komitates Komorn-Gran und kann auf eine Vergangenheit mit deutscher Bevölkerung auf nicht mehr als 230 Jahre zurückblicken. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Kolonisten schon registriert, so wissen die Einwohner ganz genau, woher die ersten Ansiedler stammen. 100 Jahre nach der Ansiedlung lag der Anteil der deutschen Einwohner schon bei 88 %, er stieg bis 1930 bis auf 95 %, und dieser Anteil blieb bis zur die Zukunft vieler Einwohner bestimmenden Volkszählung im Jahr 1941. Die Vertreibung betraf 139 Familien (um die 650 Personen), etwa 75 % der Bevölkerung mussten 128 Häuser und ihr Vermögen zurücklassen. 1949 wagte es eine einzige Person, sich zum Deutschtum zu bekennen. Eine nahezu der Wirklichkeit entsprechende Zahl der deutschen Bevölkerung wurde 2001 registriert, laut der Volkszählung lebten in Kirwa zu 18 % Deutsche.
Nach der „Zerschlagung einer 160-jährigen Dorfgemeinschaft“ (Dr. Wilhelm Wagenhoffer, Verfasser der Ortsmonographie „Von Kirwa bis Máriahalom“) war und ist es auch hier nicht so einfach, die deutsche Sprache und Kultur weiter zu pflegen. Wie ist die Situation heute?
Das Dorfbild lässt einigermaßen auf die Geschehnisse folgern: viele Häuser verfallen, manche sogar verwahrlost – abwechselnd mit schön gepflegten modernen Häusern. Besonders wegen des Zustandes eines alten Bauernhauses tut einem das Herz weh: auf der Giebelseite mit einer Nische, in der eine Jesu-Herz-Statue zu sehen ist. Im Haus soll es mal geschnitzte Türstöcke gegeben haben. Ob sie bei dem Brand beschädigt wurden? Es wäre doch eine passende Stätte für eine volkskundliche Sammlung. Da Budapest so nahe ist, sahen mehrere Unternehmer große Möglichkeiten im Ort, doch irgendwie prosperiert keiner davon.
2008 wurde die Schule mit ungeteiltem Unterricht geschlossen. Die Gemeinde musste den Schritt tun, da im Haushalt einer so kleinen Gemeinde für den Unterricht von insgesamt 55 Kindern die Finanzen nicht ausreichten.
Die meisten Kinder besuchen heute die Schule in Gyermely (die Fahrt mit dem Bus ist organisiert), andere wiederum in Dág, Tschawa oder Tscholnok. In jeder dieser Schulen wird deutscher Nationalitätenunterricht erteilt. Trotzdem ist es ein Verlust, dass im Leben von Kirwa nur Kindergartenkinder eine Rolle spielen bzw. sie genießen die Förderung der Deutschen Selbstverwaltung. Es gab mal Versuche, deutsche Lager im Ort zu organisieren. Doch ist es halt nicht dasselbe, als wenn Pädagogen die Kinder in einem Lager beschäftigten. Die Schulkinder gehen für den Heimatort einfach verloren. Im Kindergarten werden um die 20 Kinder erzogen, die deutsche Sprache kommt aber auch hier zu kurz, weil die Fluktuation der Kindergärtnerinnen ziemlich groß ist.
Die dreiköpfige Deutsche Selbstverwaltung an der Spitze mit Frau Maria Klinger stellte auch für dieses Jahr einen Arbeitsplan zusammmen, in dem folgende Schwerpunkte gesetzt wurden: im April wurde der Vertreibung gedacht, am letzten Maisonntag eine Veranstaltung am Heldendenkmal der Weltkriege, ein Nationalitätentag mit Teilnahme der Kindergartenkinder, dazu wurden auch Chöre aus dem Komitat eingeladen. Die regelmäßigen, gegenseitigen Besuche mit der Partnerstadt Trochtelfingen (hier stand die Wiege der ersten Ansiedler 1785) laufen auch in der Organisation der Deutschen Selbstverwaltung und des Chores.
2015 brachten sie zusammen mit der Kirwaer Selbstverwaltung ein kleines Heftchen heraus, in dem Rezepte der Ahnen dafür sorgen, dass die Nachkommen mal probieren, wie es zu Omas Zeit schmeckte.
Am 23. September hielt der deutsche Nationalitätenchor des Ortes (selbst ein eingetragener Verein) ein großangelegtes Chortreffen, an dem Chöre aus Woj, Niklo und Gestitz teilnahmen. Die wunderbaren Trachten weisen zwar ziemlich wenig Unterschiede auf, aber doch gibt es manche Trachtenstücke, z. B. die Hauben und Schürzen der Frauen, an denen man die Ortschaften erkennen kann. Abwechselnd wurde auch auf der Bühne deutsch gesprochen – die breite Palette der gesungenen Lieder ließ nichts zu wünschen übrig. Bei allen Chören konnte man feststellen, dass der örtliche Dialekt, wenn auch nur noch im Singen, aber noch vorhanden ist. Im Publikum sah man Mitglieder der früheren Tanzgruppe (in den 1960er Jahren hatten sie einen besonders guten Ruf unter der Leitung von Johann Wagenhoffer und seiner Frau Maria). Es kommen auch aus dem Ort Weggezogene zurück, wenn ein deutsches Programm auf der Bühne läuft. Auch diese Veranstaltung bot die Möglichkeit, sich im Dialekt mit einer Frau (geb. 1928) über die traurige Geschichte der Nachkriegsjahre zu unterhalten. Der Abend wurde nach dem Abendessen mit Plaudern und Singen bei Akkordeonmusik abgerundet.
László Wildner, ein treuer Begleiter des Chores, fotografiert unermüdlich, zeichnet sämtliche Programme auf und stellt sie der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung.
Man möchte hoffen, dass die Vertreterinnen der Deutschen Selbstverwaltung ihre opferbereite Tätigkeit noch recht lange ausüben, um sich im Ort an den deutschen Wurzeln noch recht lange festhalten zu können.
Ágota Hárs
Fotos: László Wildner
Aus dem Inhalt
„Österreich-Spuren“
Der 7. Österreich-Tag, veranstaltet vom Bund Ungarndeutscher Schulvereine (BUSCH) in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Kulturforum (ÖKF), fand am 6. Oktober im Gebäude der Österreichischen Botschaft statt. Der Bund Ungarndeutscher Schulvereine hat auf seinem diesjährigen Schulvereinstag in Jula einstimmig beschlossen, den Dr.-Karl-Vargha-Preis Eva Békefi-Szeitl zu verleihen. Mit dem Preis soll ihr für ihre langjährige, gewissenhafte Tätigkeit im Bereich des Deutschunterrichts sowie der Pflege und Weitergabe des ungarndeutschen Kulturerbes, für ihre Aktivitäten bei der Organisierung von Volkskunde- und Volkstanzlagern des BUSCH, für ihren Einsatz für die Pädagogen und Kinder sowie allgemein für ihre unermüdliche Arbeit im Schulvereinsleben gedankt werden.
Weinleseumzug feierte rundes Jubiläum: 30. Rotweinfestival in Willand
Ein bedeutendes Jubiläum feierten die Wein- und Kulturliebhaber in Willand vom 6. – 8. Oktober: das Rotweinfestival wurde in der Branauer Weinstadt heuer zum 30. Mal veranstaltet. Im Rahmen eines lustigen Festes mit ein paar Gläsern auf die erfolgreiche Weinlese anzustoßen blickt hier zwar schon auf eine alte Tradition zurück, der erste richtige Weinleseumzug fand jedoch erst 1967 statt.
Ein Komitat in Bewegung – Ungarndeutsche aus Weißenburg unterwegs im In- und Ausland
Zweimal in einem Monat hieß es für die Weißenburger: Los geht’s! Der Verband der Deutschen Selbstverwaltungen im Komitat Weißenburg e.V. organisierte Reisen im In- und Ausland. Die erste Studienfahrt wurde ganz am Anfang des Monats nach Österreich und Bayern veranstaltet. Der Ausflug diente einerseits dazu, dass die Gruppe die kulturellen und historischen Hintergründe, die ungarische Geschichte und deren Denkmäler im Ausland kennen lernte, andererseits zur Vertiefung menschlicher Kontakte. Der zweite Ausflug, der aus Mitteln des deutschen Bundesministeriums des Innern im Rahmen von „Überregionale Kontakte“ mitfinanziert wurde, ging in die Batschka: nach Hartau, Hajosch, Nadwar, Tschasartet und Baje.
Geschichten aus und über Schorokschar: Interviews über Identität, Sprache und Traditionen
Zwar mag die Methode von oral history von Subjektivität geprägt sein, doch sie steht bei den ortsgeschichtlichen Forschungen immer mehr im Mittelpunkt, da die Objektivität der Geschichtsbücher halt gerade auf die kleinen Episoden im Leben der Augenzeugen verzichtet, welche das Bild über die Vergangenheit vervollständigen. Die Redakteure des vorliegenden Buches haben zum Anlass der 300. Jahreswende von Schorokschar einen Interviewband zusammengestellt, dessen Beiträge die historischen Ereignisse aufgrund der Erinnerungen der Interviewpartner anhand des Schicksals der eigenen Familie darstellen.
GJU-Jugendtreffen in Hartian: Teilnehmer fühlen sich durch das Treffen dem Ungarndeutschtum näher
Bereits zum dritten Mal wurde das GJU-Jugendtreffen organisiert. Das Programm für die Mittelschüler fand am Wochenende in Hartian statt, wo im örtlichen GJU-Freundeskreis die Mehrheit der Mitglieder Gymnasiasten sind. Weitere Teilnehmer kamen aus dem Valeria-Koch-Bildungszentrum (Fünfkirchen), dem Deutschen Nationalitätengymnasium (Budapest) und aus dem neuen GJU-Freundeskreis in Sankt Martin. Dieses Jahr haben wir das Programm um einen Tag verlängert, das kam dem GJU-Feeling der Teilnehmer sehr zugute.
Sonderausstellung im Ungarndeutschen Museum: „Unter fremdem Himmel – auf russischem Lande verquält…“
Die Sonderausstellung „Unter fremdem Himmel – auf russischem Lande verquält…“ wurde am 29. September im Ungarndeutschen Museum in Totis/Tata eröffnet. Die Ausstellung erinnert an die Jugendlichen, die zwischen 1944 und 1949 zur Zwangsarbeit nach Russland verschleppt wurden. Die Besonderheit der Sammlung ist, dass dieser tragische Schicksalsschlag der Ungarndeutschen im 20. Jahrhundert durch persönliche – oft optimistische – Erinnerungen veranschaulicht wird. Die alten Fotos, die auf Säcke gedruckten, kurzen, aber alles zusammenfassenden Zitate, die im Lager benutzen Originalgegenstände, die einzelnen rührenden und erschütternden Texte erzählen vieles, was man über diese Zeit wissen kann.
Marok: Die Erinnerungen an das „HAUS“ bleiben immer schön
/in Aktuell, Neue Zeitung /von BachDorottyaIch heiße Molnár Lászlóné, geboren als Erzsébet Mancz am 15. Dezember 1940 in Marok (damals Püspökmárok, heute Erdősmárok), einem kleinen ungarndeutschen Dorf im Komitat Branau.
Gala in Komitat Wesprim
/in Aktuell, Neue Zeitung /von retipeterDer Herbst schenkte uns ein herrliches Wetter mit heiterem Sonnenschein und bunten Blättern, ideal für die Wesprimer Komitatsgala am 12. Oktober in Papa. Zu Anfang zelebrierte Hochwürden Zoltán Tál eine innige deutschsprachige Messe in der Benediktinerkirche im Herzen der Stadt, stilvoll und angemessen auch für die Segnung der Preise, die später verliehen wurden.
„Sag beim Abschied leise Servus“ Trauer um einen Stimmkollegen
/in Aktuell, Neue Zeitung /von retipeterDen Ferenc-Faluhelyi-Preis der Stadt Fünfkirchen hat Johann Ritter nicht mehr persönlich entgegennehmen können. Seinen 68. Geburtstag hat er noch erlebt, doch am 11. September 2024 hat er für immer die Augen geschlossen.
Ein hervorragender Klarinettist, der die ungarndeutsche Blasmusik in ihren einzelnen Schwingungen authentisch erklingen ließ – von ihm müssen wir uns nun verabschieden.
„Für das Ungarndeutschtum in der Tolnau“ an Georg Müller
/in Aktuell, Neue Zeitung /von retipeterDer Verband der Deutschen Nationalitäten-Selbstverwaltungen der Tolnau hat den diesjährigen Niveaupreis „Für das Ungarndeutschtum in der Tolnau“ an Georg Müller verliehen. Die Auszeichnung wurde beim Komitatstag am 2. September im Mihály-Babits-Kulturzentrum in Seksard vom Vorsitzenden der Deutschen Nationalitäten-Selbstverwaltung der Tolnau, Georg Féhr, und vom Ehrenvorsitzenden des Verbandes der Deutschen Selbstverwaltungen der Tolnau e.V., Dr. Michael Józan-Jilling, überreicht.
300 Jahre entlang der Donau – Deutsches Jugendcamp in Ulm
/in Aktuell, Neue Zeitung /von retipeterDie Deutsche Selbstverwaltung Gereschlak hat mit einem Antrag an den Bethlen-Gábor-Fondsverwalter eine Förderung von 1,5 Millionen Forint für ein deutsches Nationalitätencamp gewonnen. Das Ziel war, ein besonderes Jugendcamp mit ungarndeutschem Hintergrund in Ulm zu organisieren, um auf diese Weise der 300-jährigen Ansiedlung der Deutschen in Ungarn zu gedenken. In Ulm und Umgebung haben wir Fahrradtouren unternommen, um die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen auf die Geschichte aufmerksam zu machen. Wir haben auch aus Gereschlak und Umgebung vertriebene Deutsche in und um Ulm besucht.