Eine ehemals deutsche Ortschaft im Schatten der Hauptstadt
Der Band ist eigentlich als erstes Buch einer sich mit der Geschichte, mit den Einwohnern sowie mit den Bräuchen und mit der Sprache von Großturwall/Törökbálint beschäftigenden Reihe zu betrachten und enthält vier Studien, in deren Mittelpunkt die ehemals deutschsprachige Siedlung steht.
Präsentation des Buches in Großturwall Foto: I. F.
Lívia Megyeri erörtert die Tradition der Namengebung in Großturwall aufgrund der Mitteilungen von Familien sowie aufgrund der Kirchenbücher, wobei auch auf den Stand der ungarndeutschen Namenforschung (unter anderem auf die Arbeiten von Claus Jürgen Hutterer und Karl Mollay) Bezug genommen wird. Die für die Siedlung typischen männlichen und weiblichen Vornamen werden anhand von Tabellen und Diagrammen statistisch erfasst, wobei ab dem 18. Jahrhundert bis 1995 acht jeweils ein Jahrzehnt umfassenden Epochen untersucht werden. Behandelt werden die Doppelnamen, die Kosenamen sowie die Schutzheiligen der zwölf Monate des Jahres, die hinsichtlich der Namengebung eine prägende Rolle gespielt haben. Als Zäsur wird von der Autorin das Jahr 1946 festgesetzt, wonach die Ungarndeutschen gegenüber der ungarischen und serbischen Bevölkerung in Minderheit lebten, und als Folge ihrer Assimilation auf die Tradition ihrer Namengebung langsam verzichtet haben. Neuerdings sind die Bestrebungen nach Individualität auch in der Namengebung zu beobachten, wobei die Rolle des christlichen Glaubens und der deutschen Herkunft immer weniger relevant ist.
Balázs Szalma beschäftigt sich mit der gegenwärtigen Situation der deutschen Identität sowie mit den Möglichkeiten deren Weitergabe in Großturwall. Nach der Erörterung des Begriffes Identität (ethnische, nationale oder doppelte Identität) folgen eine kurze Darstellung der Geschichte der Ungarndeutschen mit besonderem Hinblick auf die Ortsgeschichte von Großturwall, ein Überblick über die politischen und kulturellen Institutionen sowie über die Bildungsinstitute der Stadt. Behandelt werden die Zusammenhänge zwischen der Religiosität und der deutschen Identität sowie der Sprachgebrauch vor der Vertreibung und danach. Dabei wird die Vertreibung ähnlich wie im ersten Beitrag als Zäsur genommen, wonach der Sprachschwund, das allmähliche Verschwinden der identitätsbildenden Bräuche und Traditionen immer stärker zum Vorschein kamen und die Erhaltung der ethnischen Identität gefährden.
Vendel Pettinger-Szalma skizziert die Geschichte der kirchlichen Schulung in Großturwall. Der Unterricht fand ab dem 18. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ausschließlich in Konfessionsschulen statt. Der Autor hat die Geschichte von drei Schulen erforscht: die ab 1760 funktionierende erste Schule der Siedlung, die römisch-katholische Knabenschule nach der Umstrukturierung der Schulung und die am Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete Schule des Nonnenklosters des Ordens Notre Dame de Sion (später wurde die Schule von den Kreuzschwestern übernommen). Behandelt werden dabei die Frage der Unterrichtssprache, die Veränderungen hinsichtlich der Einwohnerzahl bzw. der Anzahl der Schüler sowie werden aufgrund der damaligen Dokumente die Unterrichtsfächer vorgestellt. Als Zäsur wird auch hinsichtlich des Schulwesens die Vertreibung der Ungarndeutschen angeführt, die etwa 40 Prozent der Schüler betroffen hat.
László Gyula Szőnyi erörtert die Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg, welche in den Jahren 1945 – 1947 Großturwall infolge der „Völkerbewegungen“ betroffen haben. Aufgrund zahlreicher authentischer Dokumente werden mehrere Fragen behandelt, die das Schicksal der Einwohner geprägt haben: die politische Einstellung während des Weltkriegs (deutschfreundlich, ungarnfreundlich oder neutral), die Bodenverteilung im Jahre 1945, die politischen Parteien und Organisationen bei den Wahlen 1945 sowie die Vertreibung – die „Ausweisung“ – im Jahre 1946 bzw. die Ankunft der Ansiedler aus der Tiefebene, aus Transsylvanien sowie im Rahmen des tschechoslowakisch-ungarischen Bevölkerungsaustausches im Jahre 1947. Die Einwohnerstruktur hat sich verändert, zwischen den Alteingesessenen und den Ansiedlern von der Tiefebene gab es jedoch nicht nur sprachliche und ihre Identität betreffende Unterschiede, sondern auch eine – wie der Autor formuliert – „Zivilisations- und kulturelle Kluft“ musste überbrückt werden. Dagegen wurden die Umsiedler aus der Tschechoslowakei eher freundlich aufgenommen, da diese als Opfer der Kollektivschuld betrachtet wurden. Jedenfalls dauerte es Jahrzehnte, bis die friedliche Koexistenz der nunmehr gemischten Bevölkerungsschichten von Großturwall schließlich zustande kam.
(Egy hajdanvolt német település a főváros árnyékában/Eine ehemals deutsche Ortschaft im Schatten der Hauptstadt. Ortsgeschichtliche Studien über Törökbálint. Hrs. Vendel, Pettinger-Szalma – Balázs, Szalma. Deutsche Selbstverwaltung, Großturwall/Törökbálint, 2016, S. 284)
Karl B. Szabó
Aus dem Inhalt
Komitat Pesth und die Hauptstadt besprachen gemeinsame Anliegen
Um gemeinsame Anliegen zu besprechen, lud die Deutsche Selbstverwaltung des Komitats Pesth die Deutsche Selbstverwaltung Budapest ins Haus der Vereine in Wudigeß. Vor allem im Bereich Deutschunterricht ist es notwendig, dass die deutschen Abgeordneten über entsprechende Informationen verfügen angesichts der laufend (und ohne vorherige Konsultationen) geänderten, unklaren gesetzlichen Regelungen, durch die auch Kompetenzen der deutschen Selbstverwaltungen beeinträchtigt werden. Entsprechende Entscheidungshilfen sollen über die beiden Regionalbüros in Budapest und Wudersch an die Selbstverwaltungen weitergeleitet werden.
Die Minderheiten sollen Begünstigte und Teil der europäischen Politik werden – Dachorganisation der Europäischen Minderheiten legte Pläne in Straßburg dar
Auf hoher politischer Ebene konnten die Minderheiten des Kontinents ihre Vorstellungen erläutern: die Delegation der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) wurde im Sitz des Europäischen Parlaments in Straßburg empfangen. Ziel der Diskussionen der vom FUEN-Präsidenten Loránt Vincze geleiteten Delegation war die Förderung der Zusammenarbeit der in Europa lebenden autochthonen Minderheiten und die Intensivierung ihrer Interessenvertretung.
„Meine Oma hat über Verschleppung und Vertreibung der Schwaben erzählt“ – Gedenktag und Nationalitätentag in Hajosch
Auch in diesem Jahr hat die Deutsche Selbstverwaltung von Hajosch den Gedenktag der Vertreibung und den Nationalitätentag an einem Tag gehalten. Am Denkmal wurden Kerzen angezündet, und während der Schwäbische traditionspflegende Chor deutsche Lieder sang, gedachte jeder der Vertriebenen, der Eltern, Großeltern und Urgroßeltern, die in den 40er Jahren die harten Schicksalsschläge erleiden mussten. Die Mitglieder der Hajoscher Volkstanzgruppe kleideten sich aus diesem Anlass in ihre schwarze Festtagstracht. Auch die jüngeren Generationen des Vereins sowie alle Teilnehmer der Gedenkveranstaltung bekundeten mit ihrer würdevollen Teilnahme, dass die Geschichte ihrer Vorfahren für sie von großer Bedeutung ist.
Nadascher Schlossgarten-Kindergarten: ein „wahrhaftiges Kinderparadies, das keine Wünsche offen lässt“
Der Schlossgarten-Kindergarten und Kinderkrippe Nadasch hat in den letzten Monaten vieles erlebt. Als einer unter den ersten im Land wurde die Trägerschaft des Kindergartens ab 2016 von der örtlichen Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung übernommen. In letzter Zeit gingen aber auch viele Kindergartenpädagoginnen in Rente, die das Leben des Kindergartens etwa 40 Jahre lang prägten. Nun ist die Zeit für etwas Neues reif.
Wappen als Kunstwerk
Seit dem 13. Januar hängt das Wappen der Ungarndeutschen in der Fazekas-Mihály-Grundschule in Dunakeszi. In dieser Schule wird seit drei Jahren Deutsch als Muttersprache unterrichtet. Die Familien und die Schule bilden eine feste Basis für das Leben der lokalen ungarndeutschen Minderheit und die Arbeit der Deutschen Selbstverwaltung. Die Idee, dass das Wappen in der Schule aufgestellt werden sollte, sogar von einem Künstler hergestellt, stammt von Dr. Anna Mervald, der Leiterin der Deutschen Selbstverwaltung. Der Bildhauer Tibor Kardos hat ein Mosaik-Relief aus wertvoller Keramik geschaffen.
Innovative Ideen und eigene Kreativität einbringen – Die neue GJU-Geschäftsführerin stellt sich vor
Zsuzsanna Ritzl ist die neue Geschäftsführerin der GJU. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen schwäbischen Dorf, in Ketsching/Görcsönydoboka, wo sie als Kind einer schwäbischen Familie von klein auf neben dem Ungarischen auch die deutsche Sprache lernte und mit der ungarndeutschen Kultur und den Traditionen vertraut wurde. Diese Werte spielen für sie immer noch eine große Rolle. Unmittelbaren Zugang zu ungarndeutschen Traditionen und unserer Kultur hat sie als Kind über die Tanzgruppe und durch zahlreiche Veranstaltungen bekommen, an denen sie mit genauso viel Spaß und Freude teilgenommen hat wie zum Beispiel an regelmäßigen Mundart-Wettbewerben. In dieser Zeit lernte sie bereits die GJU kennen und ist seit 1990 auch Mitglied des örtlichen Freundeskreises.
Deutsche aus dem Talboden in sowjetischen Arbeitslagern: Stationen einer Wanderausstellung
Anfang Januar 1945 wurden aus Bonnhard und Umgebung zahlreiche Zivilisten zur Zwangsarbeit in sowjetische Arbeitslager verschleppt. Am 5. Januar gedenkt man deshalb in Bonnhard der Zwangsarbeiter und der Opfer der Wiedergutmachungsarbeit. Zum 60. Jahrestag der Verschleppung hatte die Bonnharder Deutsche Selbstverwaltung eine kleine Ausstellung zusammengestellt. Diese wurde von Jahr zu Jahr mit Fotos der Gedenkfeiern sowie mit Materialien der Ausschreibung „Im Gedenken an die Verschleppten“ ergänzt. Die Selbstverwaltung bewarb sich mit Erfolg beim Ministerium für Humanressourcen um Fördergelder. So konnte durch die moderne Rollup-Technik für die diesjährige Gedenkfeier eine Ausstellung entstehen, die durch ihre Beweglichkeit ermöglicht, das Material auch in den Gemeinden der näheren und weiteren Umgebung zu zeigen.
Gala in Komitat Wesprim
/in Aktuell, Neue Zeitung /von retipeterDer Herbst schenkte uns ein herrliches Wetter mit heiterem Sonnenschein und bunten Blättern, ideal für die Wesprimer Komitatsgala am 12. Oktober in Papa. Zu Anfang zelebrierte Hochwürden Zoltán Tál eine innige deutschsprachige Messe in der Benediktinerkirche im Herzen der Stadt, stilvoll und angemessen auch für die Segnung der Preise, die später verliehen wurden.
„Sag beim Abschied leise Servus“ Trauer um einen Stimmkollegen
/in Aktuell, Neue Zeitung /von retipeterDen Ferenc-Faluhelyi-Preis der Stadt Fünfkirchen hat Johann Ritter nicht mehr persönlich entgegennehmen können. Seinen 68. Geburtstag hat er noch erlebt, doch am 11. September 2024 hat er für immer die Augen geschlossen.
Ein hervorragender Klarinettist, der die ungarndeutsche Blasmusik in ihren einzelnen Schwingungen authentisch erklingen ließ – von ihm müssen wir uns nun verabschieden.
„Für das Ungarndeutschtum in der Tolnau“ an Georg Müller
/in Aktuell, Neue Zeitung /von retipeterDer Verband der Deutschen Nationalitäten-Selbstverwaltungen der Tolnau hat den diesjährigen Niveaupreis „Für das Ungarndeutschtum in der Tolnau“ an Georg Müller verliehen. Die Auszeichnung wurde beim Komitatstag am 2. September im Mihály-Babits-Kulturzentrum in Seksard vom Vorsitzenden der Deutschen Nationalitäten-Selbstverwaltung der Tolnau, Georg Féhr, und vom Ehrenvorsitzenden des Verbandes der Deutschen Selbstverwaltungen der Tolnau e.V., Dr. Michael Józan-Jilling, überreicht.
300 Jahre entlang der Donau – Deutsches Jugendcamp in Ulm
/in Aktuell, Neue Zeitung /von retipeterDie Deutsche Selbstverwaltung Gereschlak hat mit einem Antrag an den Bethlen-Gábor-Fondsverwalter eine Förderung von 1,5 Millionen Forint für ein deutsches Nationalitätencamp gewonnen. Das Ziel war, ein besonderes Jugendcamp mit ungarndeutschem Hintergrund in Ulm zu organisieren, um auf diese Weise der 300-jährigen Ansiedlung der Deutschen in Ungarn zu gedenken. In Ulm und Umgebung haben wir Fahrradtouren unternommen, um die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen auf die Geschichte aufmerksam zu machen. Wir haben auch aus Gereschlak und Umgebung vertriebene Deutsche in und um Ulm besucht.
Weinlese 2024 – Ernte mit Hitzeschlag
/in Aktuell, Neue Zeitung /von retipeterIn Nadwar waren die staubigen Wege zu den Weinbergen voller Traktoren und eifriger Winzer, es herrschte ein reges Treiben im Kellerdorf. Bis Ende August waren fast alle Trauben schon geerntet, weit vor der üblichen Zeit. „Fast einen Monat früher mussten wir alles lesen“, erzählen die Winzer, die bemüht sind. den Most im Gleichgewicht zu halten. Die Hitze ist man bei diesen Arbeitsvorgängen nicht gewohnt, Umdenken und schnelles Reagieren sind gefragt. Zwar ist die Qualität meist gut, auch wenn die Trauben weniger Saft tragen, aber die Mengen werden wegen der schonungslosen Hitze auf jeden Fall geringer ausfallen.