Otto Heinek vor dem Vertreibungsdenkmal

Ehrliche Vergangenheitsbewältigung – Weitergabe der Erinnerungen ohne Hass und Rache

Eng verbunden mit der Geschichte der Ungarndeutschen und der vor fünfhundert Jahren begonnenen Neuorientierung des Christentums ist die Historie der „Stadt der Treue“ – ein guter Grund dafür, dass im Jahre der Reformation die zentrale Feier am Gedenktag der Verschleppung und Vertreibung der Ungarndeutschen gerade in Ödenburg stattfand.

Ein bedeutender Schritt der ungarischen Politik in der Schaffung einer ehrlichen Erinnerungskultur sei gewesen, als das Parlament im Dezember 2012 den 19. Januar zum Gedenktag der Verschleppung und Vertreibung der Ungarndeutschen erklärt habe. Diese Geste schätze die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hoch, das betonte der Leiter des Auslandsbüros Ungarn der Konrad-Adenauer-Stiftung Frank Spengler in seiner Eröffnungsrede zum gemeinsam mit der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen veranstalteten Symposium am Vormittag des 19. Jänner. Der Parlamentssprecher der Ungarndeutschen Emmerich Ritter berichtete darüber, dass eine ständige Landesausstellung über Verschleppung und Vertreibung der Ungarndeutschen in Wudersch eingerichtet werde. Die Ödenburger Deutschen hätten gearbeitet, ihren Glauben und ihre Sprache bewahrt, solange man es zuließ, daran erinnerte Magdolna Krisch, Vorsitzende der städtischen Deutschen Selbstverwaltung.

Der Theologe und pensionierte Superintendent Prof. Dr. Gustav Reingrabner schilderte in seinem Vortrag, wie die Deutschen evangelischen Glaubens im 17. – 18. Jahrhundert vor allem in Westungarn Zuflucht fanden und eine Gemeinschaft aufbauen konnten.

Die „Belohnung“ für die Treue – mit diesem Titel hielt Dr. Andreas Krisch einen Vortrag über die Geschichte und über die Vertreibung der Ödenburger Deutschen im Jahre 1946. Die Vertreibung der in den 13. – 14. Jahrhunderten nach Ödenburg und Umgebung gesiedelten Deutschen habe besondere Eigenheiten: einzigartig sei die Volksabstimmung 1921 gewesen, denn nur mithilfe der Stimmen der deutschen Bürger habe die Stadt Teil von Ungarn bleiben können. Aus Ödenburg seien mehr als 7000 Einwohner vertrieben worden, was auch die Verschiebung der Religionsproportion zu Schaden der evangelischen Konfession zur Folge hatte.

Zur staatlichen Gedenkveranstaltung und Kranzniederlegung kam es am Nachmittag am Denkmal der Vertreibung vor der evangelischen Kirche. Bürgermeister Tamás Fodor beschwor die gemeinsamen, jedoch vergeblichen Versuche von katholischen und evangelischen Ödenburgern herauf, die Vertreibung zu verhindern.

Voller Saal beim Symposium

Voller Saal beim Symposium Foto: Péter Németh

Hartmut Koschyk, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, äußerte seine Hochachtung vor den vertriebenen und verbliebenen Ungarndeutschen, weil sie sich nicht von Hass und Rache hätten leiten lassen. Die Heimatverbliebenen hätten sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den Aufbau des Landes eingefügt, während die Vertriebenen ihre Möglichkeiten zur unmittelbaren Verständigung und Versöhnung genutzt hätten: „Dadurch, dass sie selbst größtes Leid im eigenen Leben und am eigenen Leibe erfahren haben, wurden sie zu einer besonderen Brücke an Glaubwürdigkeit, Stärke und Glaubenstiefe.“

„Wir setzen uns dafür ein, dass die Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts nie mehr wiederholt werden. Darum sind wir um die Verständigung der Völker im Karpatenbecken bestrebt, darum unterstützen wir in Mitteleuropa einzigartig unsere Nationalitäten, und darum halten wir es auch für enorm wichtig, dass wir unser Christentum erhalten, und dass wir in unsere friedensbewahrende Tätigkeit auch die Kirchen mit einbeziehen.“ Dies betonte Miklós Soltész, Staatssekretär im Ministerium für Humanressourcen.

Der Gedenktag endete mit einem evangelischen Gottesdienst und einem geselligen Beisammensein im Rejpal-Haus, der Begegnungsstätte der Ödenburger Deutschen.

Schulmaterialien notwendig

Am Vertreibungsdenkmal vor der evangelischen Kirche in Ödenburg sprach der Vorsitzende der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, Otto Heinek. „Die sündhafte Tragik der Vertreibung ist das verhängnisvollste Ereignis in der ganzen Geschichte dieser westlichen Festung Ungarns.“ (Jenő Házi)

Es gibt wohl keinen symbolträchtigeren Ort für die Gedenkveranstaltung der Verschleppung und Vertreibung der Ungarndeutschen als Ödenburg. Denn wir gedenken der Opfer in einer Stadt, die vor einem Jahrhundert noch mehrheitlich von Deutschen bewohnt war und die in ihrem Wappen den ihr vom ungarischen Parlament verliehenen stolzen Titel „Civitas Fidelissima“ trägt.

„Civitas Fidelissima“, „Treueste Stadt“. Der Titel erinnert – wie die meisten Anwesenden wissen – an die Volksabstimmung im Dezember 1921, bei der die Bürger Ödenburgs mehrheitlich für den Verbleib bei Ungarn votiert haben. Und kaum ein Vierteljahrhundert nach dieser patriotischen Demonstration wurden sie in Waggons gepfercht und ins Ungewisse geschickt.

„Die Belohnung für die Treue“ – so der Titel des Vortrags von Andreas Krisch, den wir heute Vormittag anhören konnten. Bitter! Es geht kaum bitterer! „Unsere Tage sind zurzeit nicht still und ruhevoll. Unsere Herzen und Seelen sind mit vielen Besorgnissen und Verzweiflung erfüllt. Das Gespenst der Vertreibung und die Zerstörung bedrohen unsere Diözese, und auch unsere Gemeinde“ – liest man im Protokolleintrag der Sitzung des Kirchenrates der Ödenburger evangelischen Gemeinde am 11. April 1946. Und der Ödenburger katholische Pfarrer Alajos Németh schreibt: „Die Vertreibungen begannen am 20. April 1946. Die Durchführung erfolgte durch Polizisten, die aus Budapest kamen. Die neue Polizei nach dem Krieg bestand aus neu angeworbenem hergelaufenem Gesindel, das weder Erfahrung noch Moral dazu hatte, die Mitmenschen human zu behandeln… Auf der Liste gab es mehrere bekannte Namen, alte, hoch geachtete Ödenburger Familien: Intellektuelle, Händler, Handwerker, Unteroffiziere, Arbeiter, jedoch vor allem Wirtschaftsbürger. Die Vertriebenen durften nicht viel mit sich nehmen. Sie mussten alles da lassen, wofür sie ein ganzes Leben lang mit Herz und Seele gearbeitet haben: Boden, Haus, Tiere, Werkzeuge, Kirche und Friedhof.“

Otto Heinek vor dem Vertreibungsdenkmal

Otto Heinek vor dem Vertreibungsdenkmal Foto: Péter Németh

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich habe diese Zitate gebracht, weil ich glaube, dass man sich an die Ereignisse vor mehr als 70 Jahren nicht ohne Emotionen erinnern kann und darf. Aber man darf sich auch nicht nur von Emotionen leiten lassen! Über die Vertreibung in Ödenburg schreibt der Hauptarchivar Jenő Házi: „Die Durchführung der Vertreibung war … ein himmelschreiendes Unrecht gegen die Menschenrechte und die Ehre der ungarischen Nation…“ Diese Erkenntnis hat die ungarische Politik – Parlament, Staatspräsidenten, Regierungen – geleitet, als sie sich wiederholt für die Vertreibung entschuldigt hat. Und mit dem Gedenktag hat das ungarische Parlament einen wichtigen und beispielgebenden Schritt in der Bewältigung der Vergangenheit getan. Ich möchte aber wiederholen, was ich vor zwei Jahren bei der Gedenkveranstaltung in Bogdan gesagt habe: Es ist an der Zeit, einen weiteren Schritt zu unternehmen: Der Parlamentsbeschluss über den Gedenktag plädiert auch für die Anfertigung von Schulmaterialien, die sich mit der Entrechtung, Verfolgung und Vertreibung der ungarndeutschen Gemeinschaft befassen. Ich möchte hinzufügen: korrekt befassen. Davon ist noch wenig zu vernehmen. Wir bieten unser Können an, dass bald auch dieser Punkt des Beschlusses erfüllt wird.

  

Aus dem Inhalt

 

Schorokscharer Kinder beim Ungarischen Gedenktag in München

Die Anton-Grassalkovich-Grundschule in Schorokschar hat die ehrenvolle Einladung bekommen, am Gedenktag zur Vertreibung und Verschleppung der Ungarndeutschen aufzutreten. Die Gedenkfeier wurde am 19. Jänner in der Allerheiligen Hofkirche der Residenz in München veranstaltet. Schülerin Lili Virágh war mit ihrer Mutter vor einiger Zeit im Haus des Deutschen Ostens in München (HDO) und hat vom Direktor Prof. Dr. Andreas Otto Weber ein Buch mit dem Titel „Mitgenommen Heimat in Dingen“, geschenkt bekommen. Aufgrund dieses Buches entstand ein Theaterstück, das die engagierte Mutter Ibolya Virágh und Schuldirektorin Elisabeth Kreisz verfasst haben. Das Stück wurde im Kulturhaus in Schorokschar am 8. Mai 2016 aus Anlass des 70. Jahrestages der Vertreibung aufgeführt. Diese Aufführung sah der Direktor des HDO und war sehr begeistert davon.

 

Erinnerung und Ausstellung

Wenn der Januar kommt, erwachen bei den Ungarndeutschen schmerzende Erinnerungen. 1946. Wudersch. Der erste Zug in die Ungewissheit. Kaum vorstellbar. Dann kamen nacheinander auch andere Gemeinden an die Reihe. Jede ungarndeutsche Familie hat Freunde, Bekannte, Verwandte „verloren“, die auch heute noch nach Hause fahren, wenn sie ihr Heimatdorf in Ungarn aufsuchen. Familien wurden auseinandergerissen, Schicksale wurden durch Abkommen, Verträge schwer beeinflusst. An dieses Ereignis und an die Heimatvertriebenen erinnern sich die Deutsche Selbstverwaltung und die Einwohner von Neudörfl am Denkmal der Vertreibung jedes Jahr am 19. Januar.

 

Frau Maria Milbich-Tallér Ritter der Ungarischen Kultur

Frau Maria Milbich-Tallér, über deren vielseitige Tätigkeit die Neue Zeitung schon mehrmals berichtete, wurde für ihr Lebenswerk auf dem Gebiet der Bewahrung der schwäbischen Traditionen zum Ritter der Ungarischen Kultur geschlagen. Die in Schaumar wohnende, aktive Sammlerin, Pflegerin der ungarndeutschen Sitten und Bräuche ist sowohl im Ausland als auch zu Hause bekannt.

 

Erweiterung des Instrumentenbestandes der „Alte Kameraden Blaskapelle“

Der Blasmusikverein „Alte Kameraden Blaskapelle“ wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, die ungarndeutschen Blasmusiktraditionen aufleben zu lassen. Die authentische Vermittlung der ungarndeutschen Blasmusik wird dabei großgeschrieben. Die Blaskapelle besteht mehrheitlich aus Musikern, die früher an ungarndeutschen Hochzeiten sowie an Schwabenbällen gespielt haben. Ihnen war noch die unmittelbare Traditionsweitergabe zuteil, die eine Garantie für den stilvollen Klang dieser Musik bedeutet. Diese unmittelbare Traditionsweitergabe möchte man mit der Einbindung junger Musiker in die Tätigkeit der Blaskapelle aufrechterhalten.

 

Adam Berenz und die Zeitung „Die Donau“

Alfred Manz hat die Studie über Adam Berenz und die Zeitung „Die Donau“ im Jahre 1984 als Facharbeit am Deutschen Lehrstuhl an der Pädagogischen Hochschule in Fünfkirchen geschrieben und 2016 als eine mit Fotos und authentischen Dokumenten ergänzte Fassung herausgegeben. Obwohl der ungarische Staat sich bereits mehrmals für die im Zeichen der Kollektivschuld stattgefundene Vertreibung der Ungarndeutschen entschuldigt hat, und sogar der 19. Januar zum Gedenktag der Vertreibung erklärt wurde, gibt es noch zahlreiche Episoden hinsichtlich der betroffenen Periode, welche der breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden sollten. Der Widerstand gegen die Ideen des Nazismus wird eben seltener erwähnt als die Aktivitäten des Volksbundes, wobei es zahlreiche Beispiele für die Ablehnung des Nationalsozialismus seitens der deutschen Minderheit gab.

 

In „GJU-Geheimnisse“ eingeweiht: GJU-Weiterbildungstag

Die neue Generation der GJU, die neuen Präsidiumsmitglieder und die neuen Multiplikatoren in alle „GJU-Geheimnisse“ einzuweihen war das Ziel eines Weiterbildungstages am 7. Januar. Dieses Projekt wurde von Präsidentin Tekla Matoricz organisiert. Interessante Themen – die Aufgabenbereiche, die Anträge und auch die wichtigsten Kenntnisse über unsere finanziellen Angelegenheiten – wurden besprochen. Die Fragen wurden vom vorherigen Vorstand beantwortet. In kleinen Gruppen versuchten wir, Probleme zu lösen und herauszufinden, wie die Jugendlichen besser motiviert werden könnten. An der Veranstaltung nahmen sowohl einige Multiplikatoren als auch die vorherigen und die jetzigen Präsidiumsmitglieder teil.

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