Lehramtsstudentin Virág Broczky: „Ich erlebe meine Identität neu, wenn ich unterrichte“

Virág BroczkyVirág Broczky (24) studiert an der ELTE Deutsch als Minderheitensprache und Ungarische Sprache und Literatur auf Lehramt, sie macht gerade ihr Pflichtpraktikum in einer Mittelschule in Budapest. Während ihres Studiums hat Broczky entdeckt, dass sie aus einer ungarndeutschen Familie stammt. „Obwohl ich zwei ungarndeutsche Gymnasien besucht habe, wurde es mir erst während meines Studiums bewusst, dass ich auch selber ungarndeutsche Vorfahren habe.“

Sie lebt seit Jahren in Budapest, stammt jedoch aus Wesprim, ihre Familie väterlicherseits ist in Herend beheimatet. Ihre Großeltern sind sehr früh gestorben. „Sie waren Schwaben, aber meine Eltern haben nicht darüber gesprochen, das war ein Tabuthema bei uns“, erklärt Broczky. „Als ich klein war, habe ich ein paar deutsche Wörter von meiner Mutter gehört, aber von der Abstammung wurde nie geredet. Meine Urgroßeltern konnten die Mundart, ich habe sie aber nicht mehr kennenlernen können. Sie wurden nach dem Krieg enteignet, das Haus und der Weinberg wurden weggenommen und sie mussten fliehen. Mein Großvater war fünf Jahre in Russland. Er hat darüber nie erzählt. Er konnte noch die Mundart, aber ich war erst zwei Jahre alt, als er gestorben ist“, berichtet die junge Studentin über ihre Familie.

Virág Broczky hat zunächst das Lovassy-Gymnasium in Wesprim und nach dem Umzug der Familie nach Budapest das Áron-Tamási-Gymnasium besucht, wo sie auch ihr Abitur abgelegt hat. Sie wusste schon früh, dass sie Lehrerin werden möchte. Sie hat sich für ein Studium mit Hauptfach Deutsch als Minderheitensprache beworben, bevor sie gewusst hat, dass sie ungarndeutscher Abstammung ist: „Wenn jemand ein ungarndeutsches Gymnasium besucht, dann lernt man irgendwie eine Art Identität. Nach einiger Zeit habe ich gemerkt, ich möchte das auch. Es ist komisch, ich kann nicht genau erklären, wie ich das erlebt habe, aber nach fünf Jahren war es klar, dass ich das studieren möchte und an der Uni konnte ich renommierte Professoren, wie Karl Manherz oder Maria Erb, kennenlernen. Das ist für mich eine sehr große Sache, dass ich mit  existierenden Ungarndeutschen zugleich auch engagierte Personen treffen konnte, die zum Beispiel meine Schulbücher geschrieben haben. Das ist fantastisch.“

Das Forschungsthema von Virág Broczky ist Projektarbeit im Minderheitenunterricht, mit dem Titel „Die Untersuchung der Verwendung der ungarndeutschen Minderheitensprache aus pädagogischer Sicht“. Sie unterrichtet jetzt im Tamási-Gymnasium Volkskunde und meint, dass sie von diesen Kursen sehr viel profitiert. „Die Themen sind für meine Schüler etwas fremd, ich überlege mir oft, wie man das kulturelle Erbe der Ungarndeutschen weitergeben kann. Es ist ungewöhnlich, dass ich schon vor meinem Abschluss an einer Schule unterrichten darf, dafür bin ich sehr dankbar. In der Schule zu arbeiten macht mir viel Spaß, ich kann viele neue Ideen mit in den Unterricht einbringen“, beteuert sie.

Neben der Uni war sie 2017 einen Monat lang mit einem DAAD-Stipendium an einer Sommeruni in Bamberg. „Das Thema war Kinder- und Jugendliteratur, das hat auch zu meinen Fächern prima gepasst. Ich hatte vormittags immer Lehrveranstaltungen und es gab viele Begleitprogramme am Nachmittag, es war wirklich sehr gut.“ Auch nächstes Jahr hat Broczky viel vor: „Ich habe dann mein langes Praktikum, und plane drei Wochen nach München zu fahren und dort an einer deutschen Schule zu hospitieren. Es lohnt sich, in mehreren Schulen Stunden zu beobachten, das bringt sehr viel. Da ich keine Muttersprachlerin bin, kann ich dadurch auch meine Sprachkenntnisse verbessern und auch moderne Unterrichtsmethoden kennenlernen.

Lieblingsthemen, die ich im Unterricht immer behandele, sind Feste im Kirchenjahr, wir machen dann immer Vergleiche mit den Schülern, wie ein Fest früher begangen wurde und heute gelebt wird, aber auch alles andere, was zur ungarndeutschen Volkskunde gehört, interessiert mich sehr. Volkstracht und Volkstanz sind mein absolutes Lieblingsthema“, schwärmt sie.

Sie findet das neue Lehrpfad-System super für den Unterricht und hofft, dass ihre Schüler bei der neuen Ausschreibung der LdU für den Landeslehrpfad in Baje mitmachen werden. Es ist für sie sehr wichtig, die Schüler auf solche Sachen aufmerksam zu machen, damit sie sehen, dass das Ganze lebendig ist. Es gibt im Unterricht immer solche Aufgaben, wo die Schüler ihre Familie über bestimmte Themen befragen müssen, die im Unterricht behandelt werden.

„In Budapest sehe ich, dass es kaum Ungarndeutschen in den Klassen gibt. In Wesprim war es noch anders, da waren es noch mehrere“,  sagt Virág Broczky. „Im Unterricht merke ich, dass die meisten gar nichts mit Bräuchen anfangen können, es gibt eine riesige zeitliche Distanz. Ich arbeite immer mit kooperativen Methoden, wir gehen auch ins Wuderscher Heimatmuseum, Projektarbeit machen die Schüler gerne. Für die DSD-Prüfung brauchen sie ja ein Thema, und wir machen jetzt gerade auch ungarndeutsche Projekte. Es gibt aber immer wieder Themen, die gut ankommen, neulich deutsche Literatur, die wir mit Comics bearbeitet haben. Volkskunde kann man auch mit dieser Methode machen.“

Virág Broczky widmet sich in ihrer Freizeit modernen Tänzen, sie hat zweimal pro Woche Training. In Zukunft möchte sie sich weiterhin dem Unterricht widmen, hält es aber auch nicht für ausgeschlossen, eine Phd-Arbeit im Bereich Pädagogik zu schreiben. Besonders interessieren sie Themen wie Identitätsschaffung bei Jugendlichen und Projektarbeiten innerhalb von Schulgruppen, aber auch translinguale Pädagogik – die neue Methode, die besonders im Bereich des zweisprachigen Unterrichts angewendet werden kann.

GS

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Fünfkirchner Mandelbaum wurde Europäischer Baum des Jahres 2019

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10. Weinwettbewerb mit 10 „goldenen“ Weinen

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„Komm mein Schatz und tanz mit mir!“ – Willander Ungarndeutsche Tanzgruppen feierten 25-jähriges Jubiläum

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Einweihungsfest des deutschen Nationalitätenraumes der Moorer Miklós-Radnóti-Grundschule

 letöltésDie Leiterin der deutschen Fachschaft der Moorer Miklós-Radnóti-Grundschule Angela Wundele-Zsilvölgyi berichtet diesmal wieder über ein freudiges, großartiges Ereignis im ungarndeutschen Bereich. Zum denkwürdigen Einweihungsfest des deutschen Nationalitätenraumes in der Schule wurden viele Gäste eingeladen. Es war im Rahmen des festlichen Gedenkprogramms der Moorer Ungarndeutschen Selbstverwaltung zum 71. Jahrestag der Vertreibung der Moorer Ungarndeutschen für alle Interessenten öffentlich zugänglich.

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300 Jahre entlang der Donau – Deutsches Jugendcamp in Ulm

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