All das, was uns schriftlich gegeben ist…

Wenn wir es in Betracht ziehen, was alles über das Leben, die Sitten und Bräuche und die Geschichte der Ungarndeutschen bereits in der Form von Büchern, Artikeln, Abhandlungen, Diplomarbeiten und Dissertationen aufgeschrieben und veröffentlicht wurde, so könnte man fast denken, es sei über die Volksgruppe bereits jedes Thema behandelt. Da wir aber noch davon ausgehen, dass wir eine lebendige Nationalität darstellen, entsteht auch fortlaufend Material, das zu untersuchen ist.

Unlängst habe ich mich im eigenen Haushalt danach umgesehen, und ich muss sagen, dass man selbst in einem einzigen Nachlass noch genug Stoff für mehrere neue Feststellungen finden kann. In Betracht gezogen habe ich mein Erbe als handschriftliche Eintragungen in Messbüchern, Liedertexte, aufgeschriebene Geschichten, Kalendereintragungen und alte Briefe. Der „Haken“ bei den meisten ist, dass sie in der alten Frakturhandschrift geschrieben wurden, die ja nicht mehr allgemein entziffert werden kann. Jedenfalls sollte man bei dem Anblick solcher Schriften und Texte ja nicht auf den Gedanken kommen, sie nur aus dem Grund, dass da „wer weiß was, was niemanden angeht“, drinsteht, sie zu verbrennen oder wegzuschmeißen. Leider sind mir Beispiele über solche Handhabung bekannt.

Fragt sich jemand danach, was Interessantes doch da noch herausgelesen werden kann, so kann ich anhand meines eigenen „Materials“ folgende Beispiele bringen: Es gibt manche, als private Information interessante Messbuch-Eintragungen. Die ältesten bei mir stammen aus dem frühen 19. Jahrhundert. Daraus erfahre ich zum Beispiel, woran manche meiner Vorfahren gestorben sind. Dies ist selbst in dem Fall interessant, wenn man seinen Stammbaum bereits zurückverfolgt hat: es sind Zusatzinformationen zu gewinnen. Ich habe aber auch kurze Reime und Sprüche aufgeschrieben gefunden, von denen ich den folgenden ganz interessant finde: „Finf Finger auf jeter Hant, finf Finger auf jetem Fus, das ist das Zeichen, das man einmal sterben mus.“

Gewissermaßen zu meiner Verblüffung fand ich aber auch einen längeren Beschwörungstext, der gegen gewisse Krankheiten, wie „Giecht und Galle“ „nützlich und heilbringend“ sein soll, in der Form von einer Handschrift festgehalten. In einem Brief aus den Kriegsjahren berichtet mein Großvater über die Felder in der Ukraine ganz aus der Perspektive eines Bauers über die Beschaffenheit des Bodens, und dass er hofft, dass die Arbeiten zu Hause auch ohne sein Dabeisein verrichtet werden können. Eine Urgroßmutter hat für ihren Sterbefall eine Liste darüber hinterlassen, was sie angezogen bekommen soll, sowie auch noch ihren Liederwunsch bei der Beerdigung. Von Liedertexten gibt es ein ganzes Heft aus den wohl 20- bis 30er Jahren. Viele davon sind allgemein bekannt, aber es gibt auch einige – darunter persönlich angepasste, auf das Leben des Einzelnen zugeschnittene Begräbnislieder –, die ich noch nie gehört habe.

Vielleicht wäre doch eine regionale – oder gar landesweite – Aktion möglich, aus den Handschriften unserer Ahnen das noch alles festzuhalten und herauszugeben, was das Geistesleben der Deutschen in Ungarn schriftlich dokumentiert. Hinzuweisen ist bereits von dieser Stelle darauf, dass wir nicht nur eine bäuerliche Schicht haben, sondern auch Handwerker, Bergleute und ein altes städtisches Bürgertum. Was für uns dabei aber wichtig sein muss, ist, dass – auch wenn wir die alten Handschriften nicht mehr selber entziffern können – diese wichtige Dokumente ihrer Zeit sind. Auch durch bedeutungslos erscheinende Handschriften unserer Ahnen können wir unsere Identität wachsen lassen; uns als Ungarndeutsche in einer sich stets ändernden Welt festhalten.

Robert Becker

 

Aus dem Inhalt der Doppelausgabe

Gemeinsames Gedenken der AGDM und Kulturstiftung:

70 Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen

Vor 70 Jahren, am 5. August 1950, wurde in Stuttgart die Charta der deutschen Heimatvertriebenen verabschiedet. Damals, nur wenige Jahre nach den Gräueln von Krieg, Flucht und Vertreibung, bekannten sich die Unterzeichner zum Aufbau eines gemeinsamen Europas und Deutschlands. Mit der verabschiedeten Charta setzte man eindrucksvoll ein Zeichen für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Völkerverständigung, ohne dabei das Gedenken an die Vertreibung außer Acht zu lassen. Ausdrücklich heißt es in der Charta, dass die Heimatvertriebenen auf Vergeltung verzichten und die Schaffung eines geeinten Europas, in dem die Völker gleichberechtigt ohne Furcht und Zwang leben können, sowie den Wiederaufbau Deutschlands und Europas nachhaltig unterstützen wollen.

Besuch im Land der Gewürzpaprika

Teambildungsreise nach Kollotschau

Die Mitglieder des Deutsch-Ungarischen Freundeskreises Metschge konnten sich zum Glück wieder auf den Weg machen und an einer Teambildungsreise teilnehmen. Das Reiseziel musste zwar aufgrund der Pandemie geändert werden, doch auch das trübte die gute Laune und die Freude darüber, dass man wieder etwas gemeinsam unternehmen kann, kein bisschen. So traf man sich am Morgen des 25. Juli und fuhren in Richtung Komitat Batsch-Kleinkumanien, nach Kollotschau/Kalocsa los. Nach einer nicht allzu langen Busfahrt war die erste Station der erzbischöfliche Garten, der zu einem erholsamen Spaziergang in der Natur einlädt.

Kiritog in Wudigeß

Der Kirchtag (Kiritog) war in Wudigeß vor dem Zweiten Weltkrieg eine hervorragende, zweitägige große Veranstaltung am ersten Sonntag nach dem 5. August, wo in der Festmesse der Namensgeberin „Maria Schnee“ gedacht wurde. Anschließend folgte viel Unterhaltung mit Blasmusik und Tanz. Im Jahre 2020, zur Zeit der Corona-Pandemie, waren die Gläubigen froh, dass – obwohl unter bescheidenen Umständen – der Kiritog unter der Mitwirkung des örtlichen Frauenchores und Männerchores im Hof des St-Ladislaus-Hauses abgehalten werden konnte. Entsprechend der Tradition mit „Schneefall“ vom Himmel, genauer gesagt mit „Rosenblütenblätter-Fall“ vom Kirchenturm.

Wudigeß Kirchplatz

Vor 30 Jahren wurde der Verband Ungarndeutscher Autoren gegründet

Bei der Konferenz „Die ungarndeutsche Literatur und ihr internationales Umfeld“ in der historischen Burg von Petschwar im Juni 1990 wurde die unabhängige Schriftstellerorganisation, der Verband Ungarndeutscher Autoren e. V. gegründet: Nach der am 31. Dezember 1989 im Fünfkirchner Lenau-Haus gegründeten Gemeinschaft Junger Ungarndeutscher (GJU) der zweite gerichtlich eingetragene landesweite ungarndeutsche Verein. Hervorgegangen ist der Verband Ungarndeutscher Autoren aus der 1972 entstandenen Literarischen Sektion im Demokratischen Verband der Ungarndeutschen, die 1974 die erste ungarndeutsche Anthologie „Tiefe Wurzeln“ und dann mehrere Anthologien und Einzelbände betreute und ab 1977 jährlich einmal dreitägige Werkstattgespräche für die Autoren organisierte.

Volkslieder der Ungarndeutschen in Sitsch

Einsprachige Lieder – Liebeslieder

In ihrer Masterarbeit 2019 bearbeitete Sandra Holczinger Volkslieder und Kinderlieder in ihrem Heimatdorf Sitsch/Bakonyszücs. Das Erbe der Sitscher Volkslieder ist außerordentlich reich. Die ca. 30 Volkslieder, die in Sitsch gesammelt wurden, werden aufgrund sprachlicher Aspekte in zwei Gruppen, einsprachige und zweisprachige Lieder, aufgeteilt. Nach dem textlichen Inhalt werden die einsprachigen Lieder in verschiedene Gruppen, wie Liebeslieder, Heimat- und Fahrtenlieder, Wein- und Trinklieder, Spott- und Scherzlieder, sakrale Lieder eingeteilt und am Beispiel von einzelnen Liedern charakterisiert und beschrieben. Die Analyse der zweisprachigen Lieder wird durch drei Phasen (Lernprozess, Entlehnungsphase, Diskussion in zwei Sprachen) untersucht, was sich eher auf die soziolinguistische Analyse der Lieder konzentriert.

Tanz- und Heimatkundecamp der Juniortanzgruppe des Volkstanzvereins Kränzlein in Potok, Trautsondorf und Hartian

Über das Tanzcamp der Bonnharder Kindertanzgruppen „Zipfelmütz“ und „Regenbogen“ wurde bereits berichtet (NZjunior 32/2020). Die Kränzlein-Vereinsleitung wollte auch der Mittelschülergeneration ein ungarndeutsches Sommerprogramm anbieten, als eine Art Entschädigung, weil sie infolge der Pandemie sogar auf drei ausländische Auftrittsmöglichkeiten verzichten mussten. Sie wollten eine bisher noch unbekannte Region aufsuchen, so fiel ihre Entscheidung auf den Nordosten Ungarns. Es gab auch einen weiteren Grund für die Ortsauswahl: Sie haben auf der 30-jährigen Jubiläumsfeier der GJU in Fünfkirchen gute Bekanntschaft mit der Trautsondorfer Heimat-Tanzgruppe geschlossen, die sie mit dieser Reise vertiefen wollten.

Kränzlein Trautsondorf

Heimatmuseum Bikal

Bikal, das Dorf mit 700 Einwohnern im Norden der Branau, einst die Heimat von mehreren Hundert evangelischen Ungarndeutschen, ist bis heute bemüht, die Geschichte der Ahnen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Mehr als 1000 Deutsche lebten im idyllischen Tal, doch der Zweite Weltkrieg brachte viel Leid, und 80 % der Ungarndeutschen mussten die Heimat verlassen. Ein Heimatmuseum erinnert seit 15 Jahren an die Lebensweise der Ahnen. Das typisch deutsche Bauernhaus ist mit den besonderen Ornamenten eine Erinnerung an die alten Straßenbilder, die Stallungen ein Beispiel für den Arbeitsalltag der Bauernfamilien.

Die nächste Ausgabe der Neuen Zeitung erscheint am 28. August

 

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Lebenslanger Dienst im Deutschunterricht Zwei Ungarndeutsche aus der Gründergeneration, die sehr viel für den Bildungsbereich unserer Volksgruppe getan haben, Rosa Mammel und Josef Lantos, verließen uns in letzter Zeit