Identität erleben und weitergeben – Im Gespräch mit Schauspielerin Szandra Holczinger

Szandra HolczingerSzandra Holczinger (Foto) wurde 1990 in Pápa geboren und stammt aus Sitsch/Bakonyszűcs. Sie ist in der Mundart aufgewachsen und war Schülerin des László-Lovassy-Gymnasiums Wesprim. Von 2010 – 2013 besuchte sie die Schauspielschule Gór-Nagy Mária und absolvierte auch an der Apor-Vilmos-Hochschule in Waitzen das Fach deutsche Nationalitätenkindergartenpädagogin. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über ihr Heimatdorf Sitsch, auch um die Traditionen und Bräuche ihrer unmittelbaren Heimat zu dokumentieren. Zur Zeit ist die bekennende Ungarndeutsche BA-Studentin an der Loránd-Eötvös-Universität in Budapest und studiert Deutsch als Nationalitätenfach, zugleich ist sie Mitglied des Attila-József-Theaters in Budapest und des Veres 1 Theaters in Veresegyháza. Über ihre Laufbahn und Herzensangelegenheiten – die Beschäftigung mit der deutschen Sprache, mit Kindern und der Schauspielkunst – sprach NZ mit ihr.

Liebe Frau Holczinger, als Diplomthema haben Sie Ihr Heimatdorf gewählt. Welches Verhältnis haben Sie zu Sitsch?

Sitsch ist mein Heimatort, ich bin da aufgewachsen. Meine Vorfahren sind alle in Sitsch geboren. Ich habe ein ganz enges Verhältnis zu diesem Dorf, weil ich meine Kindheit dort verbracht habe, meine Oma und meine Eltern leben auch heute dort. Als ich weitergelernt habe, habe ich das Gymnasium in Wesprim besucht und wohnte in einem Schülerwohnheim. Zu der Zeit konnte ich nicht mehr so oft nach Sitsch heimfahren. Die Kultur, die Sprache, das Zuhause bedeuten mir Sitsch.

Welche Erinnerungen haben Sie an das Lovassy-Gymnasium?

Am Lovassy-Gymnasium habe ich den Deutschen Nationalitätenklassenzug besucht. Ich war Mitglied im Schulchor und im Deutschen Nationalitätenchor. Wir waren ganz oft in Deutschland und traten dort auf. Ich hatte tolle LehrerInnen, einige auch aus Deutschland, somit konnte ich meine Sprachkenntnisse leicht erweitern. Ganz viele Freunde habe ich bis heute, die ich am Gymnasium kennen gelernt habe.

Wie kam es dazu, dass Sie den Schauspielerberuf gewählt haben?

Ich wollte Sportlerin werden, aber ich habe eine Verletzung abgekriegt während eines Wettbewerbs, und so war ich auf der Suche nach einem anderen Hobby. Musik war immer dabei, mit sieben Jahren habe ich schon die Musikschule besucht, da habe ich Klavierspielen gelernt. Später in der Musikschule in Wesprim kam der Gesang hinzu. Daneben waren meine Lieblingsfächer Deutsch und Heimatkunde. Die deutsche Sprache war mir immer sehr wichtig, aber ich mochte auch sehr das Fach ungarische Literatur. Am Gymnasium sollte es am Holocaust-Erinnerungstag eine Aufführung geben, unsere Literaturlehrerin hatte vor, das Leben von Anna Frank auf die Bühne zu bringen. Sie bat mich, die Hauptrolle zu übernehmen. Mit der Aufführung hatten wir Erfolg und meine LehrerInnen haben mich ermuntert, mich in Richtung Schauspielkunst zu orientieren. So habe ich am Theaterstudio Mária Gór-Nagy die Aufnahmeprüfung gemacht und bestanden.

An der ELTE studieren Sie zur Zeit Deutsch als Nationalitätenfach…

Ich finde die Schauspielerei ist sehr schön, aber auch ein bisschen unsicher, und ich wollte mit der deutschen Sprache auch unbedingt noch etwas anfangen. Ich möchte die Kultur und die Sprache meiner Oma bewahren. Ich habe früher auch Forschungen gemacht, ganz viele Aufnahmen habe ich aufgezeichnet mit älteren Menschen aus meinem Heimatort, und diese möchte ich unbedingt verarbeiten. Hierfür ist das BA-Studium der Deutschen Nationalitätenfachrichtung hervorragend geeignet.

Sie sind auch in der Mundart aufgewachsen, welches Verhältnis haben Sie zur Sprache?

Meine Mutter ist Ungarin und kann Deutsch nicht so gut, sie versteht zwar viel, spricht jedoch ungarisch. Ich bin in einer Familie mit drei Generationen aufgewachsen, und Oma und Opa väterlicherseits haben immer in der Mundart gesprochen. Sie haben gedacht, dass wir es nicht verstehen, geheime Sachen untereinander besprachen sie immer in der Mundart. Ich verstehe ganz viel in Sitscher Dialekt. Ich kann Geschichten, Verse, Reime, Lieder in der Mundart vortragen, war auch bei Rezitationswettbewerben dabei. Mit der Oma haben wir abends auch immer in der Mundart gebetet. Diese Texte möchte ich später auch meinen Kindern weitergeben.

Inwieweit kümmert sich die heutige Jugend um die Mundart, um das Ungarndeutschtum?

Ich glaube, diese Generation kümmert sich weniger um die Sprache und Kultur. Leider gibt es nur sehr wenig Jugendliche, die die Traditionen bewahren möchten. Sie finden es langweilig und unnütz, und so können sie diese Identität nicht erleben und weitergeben. Nur einige, ein enger Kreis beschäftigt sich mit solchen Themen. Die Welt verändert sich zu schnell, wir hören Musik auf Englisch und folgen den amerikanischen Stars. Wir tragen Jeanshosen und sprechen ungarisch, was ich sehr schade finde, denn diese ungarndeutschen Dörfer und diese Sprache, die wir auf den Weg bekommen haben, wird somit später leider verschwinden. Dies fände ich einfach zu traurig.

Die ganze Welt ist eine Bühne, in diesem Sinne hielten Sie unlängst einen Workshop für Kinder beim OÁTV-Lager in Velence (NZjunior 48/2016). Was ist Ihnen wichtig, jungen Zuschauern zu vermitteln?

Wir spielen im Leben auch immer eine Rolle, anders ist es, wenn ich zu meiner Mutter spreche oder zu einem Polizisten oder zum Direktor: wir verhalten uns immer anders. Das Interview ist auch eine andere Rolle, was den Interviewten und die Person des Interviewers betrifft. Ich spiele im Theater ganz viele Rollen, manchmal Haupt-, manchmal Nebenrollen. Die meisten Aufführungen sind für Kinder: Volksmärchen, Kinderstücke. Ich möchte ihr Interesse für das Theater, die Rollen und das Leben wecken. Mit Kindern beschäftige ich mich sehr gerne, habe auch deswegen die Kindergärtnerinnenausbildung gewählt. Aber ich suche noch meinen Weg, ich möchte mich unbedingt mit der deutschen Sprache, unserer Kultur und dem Schauspiel beschäftigen.

A.K.

  

Aus dem Inhalt

 

Jahre der Jubiläen

„Wir sind im vergangenen Jahr wieder einige Schritte vorangekommen: Unsere Organisationen konnten mit erhöhten staatlichen Fördermitteln arbeiten. Es gab wichtige institutionelle und inhaltliche Entwicklungen im weiteren Ausbau eines selbstverwalteten Schulnetzes, gute Kooperationen mit unserem Mutterland und mit deutschen Minderheiten in Europa. Wir konnten unser Theater renovieren, mit der Erneuerung unseres Jugendlagers beginnen und am Jahresende gab es auch wichtige Weichenstellungen bei der geplanten Errichtung einer ständigen Ausstellung über die Verschleppung und Vertreibung.“ Dies schreibt im Neujahrsgruß Otto Heinek, Vorsitzender der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen.

 

Grenzüberschreitende Silvesterfeier in Harkau

Bereits zum 14. Mal wurde heuer die grenzüberschreitende Silvesterfeier der beiden Nachbarorte Harkau und Neckenmarkt (Burgenland) veranstaltet. Seit 2006 treffen sich die Bewohner immer am Jahresende an der Grenze und feiern gemeinsam Silvester. An der Grenze wurden die Feiernden von der Harkauer Blaskapelle empfangen und anschließend hat Bürgermeister Károly Szabó über die gemeinsame Geschichte der beiden Orte erzählt.

 

Blickpunkt 2016 – Bilder eines Fotowettbewerbs

Seit 2008 wird der „Blickpunkt – Wettbewerb der Bilder“ jedes Jahr ausgeschrieben. Der Band Blickpunkt 2016 enthält eine Auswahl von 100 eingesandten Fotos der ersten fünf Jahre. Was ist besonders an diesen Fotos der uns so bekannten Gesichter? Den Amateurfotografen, dem Band und natürlich Monika Ambach, die ihn zusammengestellt hat, gelingt es, eine Atmosphäre der Vertrautheit zu schaffen, die den Modellen die Möglichkeit gibt, ihr Innerstes ohne Scheu vor dem Publikum zu entfalten. So zeigen die Bilder oft eine ungewöhnliche Intimität – einen Blick in die Seele der Menschen, die sich ihm anvertrauen. Damit kann diese Zusammenstellung auch der Falle entgehen, lediglich ein Inventar zu sein, das etwas Vergangenes, nicht mehr Anwesendes, Lebendiges der Nachwelt bewahren möchte. Nein, es ist viel mehr! Nicht nur Momentaufnahmen aus der Vergangenheit und Gegenwart einer Minderheit in Europa, sondern auch ein „Gemeinsames Fest der zahlreichen, kleinen, wahren Freuden“ – so Eva Mayer, Mitglied der Jury in ihrem Vorwort.

 

Joschi Ament mit dem Preis „Für das Ungarndeutschtum im Komitat Bekesch“ ausgezeichnet

Den Preis „Für das Ungarndeutschtum im Komitat Bekesch“ erhielt Joschi Ament, Vorsitzender des Kulturkreises Elek. Der Preis wurde durch Richárd Tircsi, Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Humanressourcen, und Mihály Zalai, Vorsitzender des Komitatstags Bekesch, am 16. Dezember überreicht. Die Familie Ament lebte von 1763 bis 1946 in Elek. Joschi Ament ist ein Urenkel heimatvertriebener Deutscher.

 

Vorsilvesterfeier der GJU 2016 Hartian: Zum ersten Mal in der Region

Für den Freundeskreis Schwäbischer Jugendlicher war es eine besondere Auszeichnung, dass eine der größten ungarndeutschen Jugendveranstaltungen 2016 in Hartian stattfand. Das war einerseits eine riesige Anerkennung der bisherigen Tätigkeit, weil sie nur seit drei Jahren in der GJU mitmachen, also zu den jüngeren GJU-Freundeskreisen gehören. Andererseits, weil bisher noch keine Vorsilvesterfeier in dieser Region organisiert wurde.